Was sind Autismus-Spektrum-Störungen?

von Isabel Huth, Dipl.-Psychologin

Unter Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) werden heutzutage, in Anlehnung an die neuste Version des DSM (DSM-5 Mai 2013), eine Reihe von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zusammengefasst, die in Ausprägung und Schweregrad stark variieren. Nach wie vor weit verbreitet und mit bestimmten Vorstellungen über Erscheinungsbilder vorherrschend sind die Bezeichnungen wie Asperger-Syndrom, Frühkindlicher-Autismus oder Kanner-Autismus, atypischer Autismus oder nicht näher spezifizierte tiefgreifende Entwicklungsstörungen. Die Übergänge zwischen diesen einzelnen Störungsbildern sind aber fließend und diagnostisch nicht deutlich voneinander abzugrenzen. Die Annahme eines Störungskontinuums mit jeweils höchst individueller Ausprägung in Form von Schwere und Ausmaß der Verhaltensstörung bilden daher die Realität besser ab und werden den Betroffenen deutlich gerechter.

Zur Entstehung und Manifestation der Störung gibt es viele Ansätze. Angenommen werden hirnorganische Veränderungen, wie z.B. Auffälligkeiten bzw. Andersartigkeit der Funktion der Spiegelneuronen, maßgeblich beteiligt an der Fähigkeit zur Imitation. Insgesamt scheinen sich die neuronalen Netzwerke anders zu vernetzen. Autismus-Spektrum-Störungen könnten daher auch als Wahrnehmungsstörung verstanden werden. Darüber hinaus gibt es keine physischen Auffälligkeiten, keine DNA- oder Bluttests, die auf Autismus-Spektrum-Störungen hinweisen. Eine biologische und/oder genetische Ursache wird aber angenommen. Im Allgemeinen fällt bei Betroffenen eine deutlich geringere Motivation lernen und kooperieren zu wollen auf.

Durch Verhaltensbeobachtung und Fragebögen werden 3 Hauptbereiche diagnostisch überprüft, in denen es zur Stellung der Diagnose zu genügend Defiziten oder Auffälligkeiten kommen muss. Diese Bereiche sind:

  • Kommunikationsverhalten
  • Interessen und Stereotypien
  • InteraktionsverhaltenIn diesem Zusammenhang wird auch von der Autismus-Spektrum-Störungen-Trias gesprochen.

Im Bereich Kommunikation bleibt in den ersten 3 Lebensjahren oft schon die Entwicklung der funktionellen Sprache, das verbale Imitieren oder die spontane Lautartikulation aus, bzw. weit hinter einer neurotypischen Entwicklung zurück. Das Fehlen der frühkindlichen Sprachübungen kann auch Auswirkungen auf späteres Kommunizieren haben, auch wenn gesprochene Sprache oder eine andere Form der Kommunikation immer noch erlernt werden kann. Folgenden Auffälligkeiten werden beobachtet: Echolalie, Neologismen, Pronominalumkehr, von sich in der 3. Person oder nur mit Namen sprechen, kein Verständnis für Ironie/Sarkasmus, kein „zwischen den Zeilen lesen“, Gestik und Mimik können nur schwer gelesen werden und sind schwer lesbar für andere, da Kommunikation selbst fast ohne Ausdruck und Betonung verläuft.

Im Bereich Interessen sind starke Einschränkungen bis zu stereotypen Verhaltensweisen zu beobachten. Klare Strukturen und Routinen werden bevorzugt. Die Kinder sind auf der Suche nach ständig sich wiederholendem sensorischem Input (Rieseln, Wedeln, Rollen, Lichteffekte), aber auch nach starken Reizen (Trampolin springen, Schaukeln, sich einrollen in Matratzen), wobei andere bestimmte Reize konsequent vermieden werden könnten. Zu beobachten ist auch eine ausschweifende Beschäftigung mit einem Spezialgebiet sowie immer wieder enormes Wissen in diesem einen speziellen Bereich.

Schon im Kleinkindalter fallen Besonderheiten in der Interaktion auf. So fehlt oft das „So-tun-als-ob-Spiel“. Es kann sich nur eingeschränkt in andere Hineinversetzt werden. Die Emotionen und das innere Erleben kreisen um eigene Gedanken, Gefühle und Meinungen. Es herrscht ein unzureichendes Verständnis darüber vor, dass jeder eine eigene Sicht, eigene Wahrnehmung von Situationen, Erlebnissen, etc. hat. Oft fehlt es an Sensibilität bezüglich des eigenen privaten Bereichs und des anderer. Häufig ist zu beobachten, dass Körper- und/oder Blickkontakt vermieden werden, obwohl oft auch beobachtet werden kann, dass Kitzeln, Kuscheln, Toben genossen wird und ein großes Interesse daran besteht, Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, Autismus-Spektrum-Störungen ist eine Besonderheit, besonders sind Verhalten, Kommunikation und Interessen betroffen.

Betroffene…

  • lernen anders, Gehirn funktioniert spezialisierter, benötigen individuelle Hilfen und Differenzierungen, einen etwas anderen Ansatz
  • lernen Lesen, Mathematik, Umgang mit Computer oft noch vor dem Sprechen, aber nur mühsam Interaktion und soziales Verhalten
  • haben wenige Interessen, können darin aber Experten sein
  • haben eine andere Wahrnehmung: hören, sehen, riechen, schmecken intensiver, sind dadurch leichter ge-/überreizt, gestresst, abgelenkt
  • orientieren sich oftmals an gleichen Abläufen und Routinen, frustrieren wenn etwas nicht wie geplant läuft
  • verstehen oft nicht, was andere denken, fühlen, meinen; lesen nur schwer Körpersprache und Mimik – es kommt zu Missverständnissen
  • viele wünschen sich soziale Kontakte, verhalten sich aber ungeschickt, ecken an